Mit Vollgas zum besten Film des Jahres?: «One Battle After Another»

In seinem neuesten Werk zeigt sich Regisseur Paul Thomas Anderson von seiner unterhaltsamsten Seite. «One Battle After Another» prescht unaufhaltsam vorwärts – spannungsgeladen, witzig und hochaktuell. Ist das der beste Film 2025?

Die nächste Schlacht wartet schon… | Bildmaterial: Timplaru Emil & Clker, bearbeitet durch Jan Wattenhofer

Es scheint ein gutes Omen zu sein, wenn sich Paul Thomas Anderson einem Stoff des US-amerikanischen Schriftstellers Thomas Pynchon zuwendet. Schon 2014 verfilmte er, der mit Streifen wie «There Will Be Blood» (2007), «The Master» (2012) oder zuletzt «Licorice Pizza» (2021) in so manchen feuchten Träumen von allerlei Cineast:innen eine zentrale Rolle spielt (so auch in meinen), Pynchons Roman «Inherent Vice».

In diesem eigenwilligen Krimi schilderte Anderson die Geschichte eines Hippie-Privatdetektivs namens Doc Sportello (Joaquin Phoenix), der im sonnig-melancholischen Labyrinth von Los Angeles der 70er-Jahre, irgendwo zwischen Strand, Bigfoot, Cannabis-Rauchschwaden, Gefühlen für seine Ex-Freundin und der Arischen Bruderschaft, einen schwer reichen Immobilienspekulanten aufspüren soll.

Das Ergebnis war genauso diffus wie der Nebel in Sportellos Kifferbirne, aber gleichzeitig so fulminant, weil Anderson auf eine nachvollziehbare Handlung pfiff und seinen Protagonisten lieber von einer Absurdität in die nächste stolpern liess. Bis heute habe ich diesen cineastischen Trip nicht ganz durchschaut, selbst nach mehrmaligem Schauen in absoluter Abstinenz (ein Fremdwort für all die dubiosen Gestalten im Film, die noch viel dubiosere Substanzen konsumieren).

Etwas Ähnliches und gleichermassen Brillantes wie «Inherent Vice» und dann doch etwas vollkommen Anderes fabriziert er in seinem neuesten Werk «One Battle After Another». Diesmal keine reine Pynchon-Buchadaption, sondern nur leicht inspiriert von dessen Buch «Vineland», erzählt Anderson von Bob Ferguson (Leonardo DiCaprio), einem Bombenbastler und Mitglied der linksradikalen Widerstandsgruppe «French 75», die in Kalifornien Einwander:innen aus Abschiebelagern befreit.

Filmfakten

Regie: Paul Thomas Anderson
Drehbuch: Paul Thomas Anderson
Mit: Leonardo DiCaprio, Sean Penn, Chase Infiniti, Regina Hall, Benicio del Toro, Teyana Taylor, Alana Haim
Produktionsland: USA
Länge: 162 Minuten
Kinostart Deutschschweiz: 25. September 2025

Seit 16 Jahren jagt Bob jedoch nichts mehr für den Freiheitskampf in die Luft, sondern hat es sich in der Kleinstadt Baktan Cross so gemütlich gemacht, wie das für einen paranoiden Revoluzzer möglich ist. Um seine Nerven zu beruhigen, kippt er sich regelmässig einen hinter die Binde und zieht des Öfteren einen Joint durch. Ah ja, fast vergessen… Nebenbei kümmert er sich noch um seine Tochter Willa (Chase Infiniti).

Die Teenagerin ist selbstbewusst, voller Idealismus, gewitzt und vif, ein Badass, um es kurz zu machen, genau wie ihre Mutter Perfidia (Teyana Taylor). Diese, ebenfalls Teil der «French 75» gewesen, kam nach einem fehlgeschlagenen Banküberfall ins Zeugenschutzprogramm und machte sich eines Tages aus dem Staub, weit weg von den US-Behörden, auf Nimmerwiedersehen nach Mexiko.

Unter einem Vorwand marschiert der Offizier Steven J. Lockjaw (Sean Penn) mit seiner Truppe in Baktan Cross ein, um Willa und Bob zu finden, mit denen er eine unfreiwillige und für ihn höchst unangenehme Verbindung teilt, die der Militär kappen muss. Im Wirrwarr der Unruhen, die die Soldaten in der Kleinstadt auslösen, gelingt Willa die Flucht. Bob versucht nun, seine Tochter aufzuspüren, in der Hoffnung, dass Lockjaw ihm nicht zuvorkommt.

Wie ein Klassiker aus den 60er-Jahren

Nicht derart ausgeprägt, aber vergleichbar planlos wie Doc Sportello bahnt sich Bob seinen Weg durch die 162 Minuten von «One Battle After Another». Und das in so hohem Tempo, insbesondere in der ersten Hälfte, dass mir stellenweise der Atem gestockt hat. Paul Thomas Anderson drückt das Gaspedal komplett durch, bis seine Sohle den Asphalt küsst, und rafft dabei die Zeit dahin, als wäre sie ein Schädling, den es zu beseitigen gilt.

Allerdings, wenn man pausenlos im höchsten Gang unterwegs ist, kann es passieren, dass man ins Schlittern gerät. Was dann? Sicherheitshalber auf die Bremse treten. Das tut Anderson hier und da zu fest und drosselt so schmerzlich den mitreissenden Rhythmus des Films. Das Risiko mit Höchstgeschwindigkeit zu überschlagen, hätte er in Kauf nehmen müssen. Nichts wäre auf der Strecke geblieben, wenn jemand im Drehbuch die eine oder andere Erklärung gestrichen hätte. Warum muss nochmal genauestens aufgedröselt werden, welche Motivationen hinter dem Einmarsch in Baktan Cross stehen, wenn uns Anderson bis dahin alles verständlich aufgetischt hat, und das ohne langwierige Dialoge?

Zugegeben, es ist ein kleiner Makel in einem Film, der Stresssituation an Ausnahmezustand reiht: vor den Bullen entkommen, sich durch Ausschreitungen manövrieren, mit den «French 75» Kontakt aufnehmen, aus den Tiefen der von Marihuana verrauchten Rübe die alten Geheimcodes hervorkramen, Koordinaten und eine Knarre beschaffen, über Dächer sprinten und irgendwie am Leben bleiben. Gerade Bob hat ordentlich zu tun. Ein Glück bekommt der drogen- und alkoholabhängige Revolutionär ein wenig Hilfe – sowie hin und wieder ein Bier in die Hand gedrückt.

Bobs Begleiter für brenzlige Situationen: sein Gewehr. | Bild: Pixorena, bearbeitet jwa

Beides kriegt er von einem puerto-ricanischen Schauspieler, der schon in «Inherent Vice» als Anwalt Sauncho Smilax zu sehen war. In «One Battle After Another» heisst Benicio del Toros Figur Sensei Sergio, ein Karate-Trainer so cool wie Shaved Ice, nur nicht ganz so glattrasiert, aber mit derselben Mission, wie Sauncho sie damals hatte: Den Protagonisten aus den Fängen der Gesetzeshüter befreien.

Nachdem das geschafft ist, kann’s weitergehen mit Andersons Hetzjagd, die zwischen 130 und 170 Millionen US-Dollar gekostet haben soll und somit seine teuerste Produktion bisher ist. Jeder Cent ist wohl überlegt investiert worden, gedreht haben der Regisseur und sein Kameramann Michael Bauman auf echtem 35-mm-Film.

Das hat zur Folge, dass «One Battle After Another» einerseits älter wirkt, als er eigentlich ist, und das im besten Sinne, so als würde gerade ein Klassiker aus den 60ern über die Leinwand flimmern. Andererseits ist die Inszenierung so modern und vor allem so gewaltig: Was Anderson uns in Baktan Cross und jenseits davon zeigt, mutet trotz der relativ kleinen Ausmasse beinahe epochal an. Er braucht keine ausserirdische Aubergine, die mit ihrem Glitzerhandschuh das halbe Universum wegschnipst, um Emotionen zu wecken und ein Gefühl von Grösse zu erschaffen.

Rassistisches Bügelbrett in der Vertikalen

Und dann ist «One Battle After Another» auch so aktuell, weil Anderson zeigt, wie die Trump-Regierung in ihren Abschiebelagern Immigrant:innen hinter Zäunen einpfercht, genau wie Vieh, das zwar nicht geschlachtet, aber zurück in ihre Heimat verbannt werden soll.

Dieses Rambazamba rund um Freiheit und «detention centers», Gleichstellung und Fremdenfeindlichkeit und den Kampf zwischen Linksradikalen und White Supremacists bleibt jedoch nur eine Kulisse. Klare Sache, Rassismus ist beschissen, keine weiteren Fragen, Euer Ehren! Viel mehr hat Anderson zur ganzen Thematik allerdings nicht beizusteuern. Er präferiert es, eine Karikatur eines weissen, übermännlichen und rassistischen Mannes zu zeichnen, die an Unterhaltsamkeit kaum zu überbieten ist und dennoch die reale Gefahr nie herunterspielt.

Gemeint damit ist Lockjaw. Ein Typ, der die schwarze Bevölkerung verabscheut, aber eine Schwäche für afroamerikanische Frauen hat. Einer, der sich gern unterdrücken lässt und einen Steifen kriegt, wenn eine Dame eine Pistole auf ihn richtet.

So einer, der sich überlegen fühlt und sich noch viel überlegener fühlen möchte, indem er Teil des sogenannten «Christmas Adventurers Club» werden will. Er ist ein Typ, dieser Lockjaw, mit einer Körperhaltung, die so stocksteif wirkt wie ein Bügelbrett in der Vertikalen, dem man einen Betonpfeiler so tief in den Arsch geschoben hat, dass dieser aus dem Rachen wieder herausragt.

Lockjaw marschiert in Baktan Cross ein, als würde er in den Krieg ziehen. | Bild: Mohamed_hassan, bearbeitet jwa

Er ist ein Typ mit satirischem Potenzial, der uns die Lächerlichkeit vieler einflussreicher Männer unserer Zeit sowie deren Ideologien vor Augen führt. Sean Penn glückt dabei der Spagat zwischen Irrsinn und Bedrohlichkeit, sogar eine menschliche, fast schon liebliche Seite bringt er in seinem widerlichen Lockjaw zum Vorschein.

Zwischen Verrücktheit und wahrhaftiger Dramatik die Balance zu finden, schafft Paul Thomas Anderson genauso bravourös in seinem gesamten Drehbuch. Nicht zuletzt auch mit seinem Protagonisten Bob Ferguson, der mehr schlecht als recht aus Baktan Cross herauskommt, hinaus in die kalifornische Wüste, den Spuren folgend, die seine Tochter hinterlässt.

Jedes einzelne Mal, wenn Bob beziehungsweise Leonardo DiCaprio auf der Leinwand erschienen ist, konnte ich mir einen Lacher oder zumindest ein Schmunzeln nicht verkneifen. Bob ist ein Trottel, gutmütig, besorgt um seine Tochter und voller Liebe für sie, aber trotzdem ein Trottel.

Exakt hätte er sich die Passwörter, um mit den übrigen «French 75» zu kommunizieren, merken sollen. Zuzusehen, wie DiCaprio diesen zerstreuten Säufer und Stoner mimt, wie er versucht, trotz den Lücken in seinem Gedächtnis diese eine wichtige Information vom Revoluzzer auf der anderen Seite der Telefonleitung – einem hartnäckigen Kerl, der die Geheimcodes unnachgiebig einfordert wie die Steuerbehörde ihre Kohle – herauszukitzeln, gehört zum Besten, was der Hollywood-Star je gespielt hat.

DiCaprio wird in «One Battle After Another» zu einer Mischung aus Rick Dalton aus Quentin Tarantinos «Once Upon a Time in Hollywood» und Doc Sportello aus Andersons «Inherent Vice». Bob ist kaputt, überemotional und unsicher wie Dalton sowie verstrahlt, inkompetent und durch den Plot wabernd wie Sportello. Die Vorliebe zur Selbstzerstörung mithilfe von Alkohol und Drogen hat er mit beiden gemein.

Und so sind die Geschehnisse für ihn wie für uns ein spannungsgeladenes Wechselspiel aus Verzweiflung und Hoffnung. Ein ewiges Auf und Ab wie die Verfolgungsjagd gegen Ende des Films, bei der sich die Strassen, die durch die Wüste führen, in stürmische Wellen verwandeln. Meterhoch steigen die Highways an, verstecken Willa hinter sich, sinken dann und geben die Teenagerin für einen Moment wieder preis – um Bob auf seiner Irrfahrt weiter anzutreiben und uns mit grosser Wahrscheinlichkeit die beste Kinoerfahrung des Jahres zu bescheren.

Bewertung:

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