Rache wird am besten als Vier-Gänge-Menü serviert: «I Saw the Devil»

Mit seiner Unbarmherzigkeit sticht Kim Jee-woons «I Saw the Devil» auch 15 Jahre nach seinem Erscheinen aus dem Subgenre der Selbstjustizfilme heraus. Die Botschaft des Rache-Thrillers ist simpel – selten wurde sie so deutlich bebildert.

Wer ist der Teufel – der Serienmörder oder der Rächer? | Bildmaterial: Clker & JCamargo, bearbeitet durch Jan Wattenhofer

Nackt und leicht benommen von den Hammerschlägen auf ihren Schädel liegt eine junge Frau auf dem von getrocknetem Blut besudelten Steinboden einer Werkstatt. Bis auf die Do-it-yourself-Guillotine wurde hier noch nie etwas zusammengeschraubt. Nein, dieser Ort dient einzig dem Zerlegen von Frauenkörpern.

Sie fleht ihren Peiniger an, er solle sie bitte nicht töten. «Wieso nicht?», fragt er mit erschreckender Gleichgültigkeit, die zu verstehen gibt, dass kein Argument, egal wie überzeugend es sein mag, ihn jemals vom Morden abbringen könnte. Sie erwarte ein Kind, gesteht sie ihm, und einen Augenblick später, genauso gleichgültig wie sein «Wieso nicht?», saust das Hackbeil des Killers auf sie nieder.

Joo-yeon (Oh San-ha) heisst die junge Frau, die nun tot ist. Ihr Verlobter Soo-hyeon (Lee Byung-hun) ist ein Agent des südkoreanischen Geheimdienstes. Zwei Wochen würden ihm ausreichen, um über den Verlust seiner Geliebten hinwegzukommen, danach stehe er wieder im Dienst, erklärt er seinem Vorgesetzten. 14 Tage für Trauer, die Soo-hyeon jedoch nutzt, um sich zu rächen.

Für seine Prämisse gewinnt Kim Jee-woons «I Saw the Devil» keine Innovationspreise. Schon 2010, als dieser Thriller erschien, waren Selbstjustizgeschichten im Kino altbekannt. Viele bedeutende Filmemacher arbeiteten sich am Motiv der Rache ab.

Kims Landsmann Park Chan-wook widmete dem Thema mit seiner legendären «Vengeance»-Trilogie (2002–2005) gleich drei Werke, von denen «Oldboy» (2003) wohl das bekannteste sein dürfte. Quentin Tarantino machte Uma Thurman mit seinem furiosen Kung-Fu-Samurai-Western-Racheepos «Kill Bill» (2003–2004) unsterblich.

Und auch in Japan gab’s Rache in den verschiedensten Geschmacksrichtungen: bitter und trist in Kiyoshi Kurosawas «Serpent’s Path» (1998), milchig und perfide in Tetsuya Nakashimas «Geständnisse» (2010) oder vollmundig und experimentierfreudig in Shunya Itos Manga-Verfilmung «Sasori – Scorpion» (1972).

Sogar ein Grossmeister wie der Schwede Ingmar Bergman beschäftigte sich mit der Vergeltung von Vergewaltigung und Mord. Noch bevor in den 70er-Jahren Streifen wie «Ich spuck auf dein Grab» (1978) berühmt-berüchtigt wurden, hatte Bergman 1960 mit «Die Jungfrauenquelle» den ersten Beitrag im Rape-and-Revenge-Genre gedreht.

Unter all den Selbstjustizfilmen ragt «I Saw the Devil» mit seiner Unbarmherzigkeit hervor, die sich einerseits durch die Gewaltdarstellung, andererseits und insbesondere durch das Skript äussert. In vielen Vergeltungsfilmen beschränkt sich die Rache auf ein einzelnes Gericht pro Peiniger, das mal kälter, mal wärmer serviert wird, je nach Zutaten und verwendeter Zubereitungsmethode.

«I Saw the Devil» bietet hingegen ein von Drehbuchautor Park Hoon-jung ausgefeilt geschriebenes Vier-Gänge-Rache-Menü, das Soo-hyeon dem Mörder seiner Zukünftigen genüsslich und minuziös ausgearbeitet vorsetzt. Jeder Gang ist ein Erlebnis, das die cineastischen Geschmacksknospen anregt und uns Speise für Speise näher an eine Botschaft heranführt, die im Rache-Thriller-Genre unverzichtbar erscheint.

Erster Gang: GPS-Ortungskapsel mit Visagenbrei und Handbruch

Bevor Soo-hyeon den ersten Gang auftischt, muss er zuerst einmal den wahren Täter aufspüren. Mithilfe seines Beinahe-Schwiegervaters Jang, einst Polizeichef und nun im Ruhestand, gelingt es ihm, den Kreis der Verdächtigen auf vier Personen einzugrenzen.

Eine Portion Rührei und ein wenig Gesichtsmus später ist der Mörder von Joo-yeon ermittelt. Name: Kyung-chul (gespielt von Choi Min-sik). Beruf: Schulbusfahrer. Familienstand: unbekannt. Kinder: ein circa zwölfjähriger Junge. Dieser lebt bei Kyung-chuls Eltern, die ihren eigenen Sohn schon längst abgeschrieben haben. Warum? Weil er sich einfach aus dem Staub gemacht hat. Vom tödlichen Hobby ihres Nachwuchses scheinen die beiden aber nichts zu ahnen.

Ein Wunder! Denn Kyung-chul macht sich keine grosse Mühe, seine Gräuel zu vertuschen, und so findet ihn Soo-hyeon in flagranti in einem abgeschiedenen Gewächshaus, wo sich der Killer gerade an einem Schulmädchen austoben will.

Daraus wird nichts. Der Rächer greift ein und steht nun seinem Schuldner gegenüber. Ein spannungsaufbauender Blickwechsel zwischen zwei Figuren folgt, die vielmehr Schablonen als komplexe Charaktere sind, dargestellt von zwei Spitzendarstellern des südkoreanischen Kinos, die die wenigen Facetten ihrer Rollen nachfühlbar verkörperten.

Auf der einen Seite Lee Byung-hun als Geheimdienstagent, von Trauer zerfressen, von Hass getrieben, mit Eiseskälte seiner Vergeltung hinterherhetzend. Auf der anderen Seite Choi Min-sik – nach «Oldboy» (2003) wurde er in «I Saw the Devil» erneut in ein krankes Rachespiel verstrickt – als prototypischer Serienmörder: empathielos, sadistisch, misogyn, ekelerregend.

Inmitten von angebautem Gemüse schwingen Soo-hyeon und Kyung-chul die Fäuste. Gegen den ausgebildeten und kampferprobten Staatsagenten zieht sogar ein brutaler Killer den Kürzeren. Für Kyung-chul gibt’s Visagenbrei und einen Handbruch.

Hier und jetzt könnte Soo-hyeon den Frauentöter zwingen, die Radieschen des Gewächshauses von unten anzusehen. Stattdessen stopft er dem besinnungslos geprügelten Kyung-chul eine GPS-Ortungskapsel in den Rachen und sieht zu, dass die auch schön brav geschluckt wird.

Filmfakten

Originaltitel: 악마를 보았다 (Angma-reul Boatda)
Regie: Kim Jee-woon
Drehbuch: Park Hoon-jung
Mit: Lee Byung-hun, Choi Min-sik, Jeon Gook-hwan, Jeon Ho-jin, Oh San-ha, Kim Yoon-seo, Choi Moo-sung, Kim In-seo
Produktionsland: Südkorea
Länge: 144 Minuten
Erscheinungsjahr: 2010

Wie bei einem Hund an der Leine weiss Soo-hyeon von nun an, wo sich sein Opfer herumtreibt. Immer wieder wird er ihn aufspüren, immer wieder wird er ihm Schmerzen zufügen. Gerechtigkeit ist in Soo-hyeons Augen erst hergestellt, wenn der Serienkiller in gleichem Masse gelitten hat wie Joo-yeon. Ab hier beginnt der Rachefeldzug erst so richtig.

Zweiter Gang: Tranchierte Achillessehne

Zu Anfang von «I Saw the Devil» sehen wir, wie Soo-hyeon seiner Verlobten, die mit plattem Reifen irgendwo in der Pampa auf den Abschleppdienst wartet, ein Lied übers Handy vorsingt. Es ist ein kurzer intimer Moment zwischen einem Mann und einer Frau, die innige Gefühle füreinander hegen.

Jegliche Emotionen bis auf Kummer und Abscheu sind in Soo-hyeon mittlerweile abgestorben. Das sehen wir nicht nur an seinem Handeln, sondern ebenso in seiner Mimik. Regisseur Kim Jee-woon rückte mit der Kamera oft nahe an seinen Figuren heran. Er betonte dadurch Trauer, Wut und Angst – allerdings auch die Gewalt.

«I Saw the Devil» eilt der Ruf eines ultrabrutalen Thrillers voraus, in dem nicht davor zurückgeschreckt wird, physische Gewalttaten in all ihrer Drastik zu zeigen. Und er wird seinem Ruf mehr als gerecht.

Den Frauen bereitet in den knapp zweieinhalb Stunden vor allem Kyung-chul unsägliches Elend. Es schockiert zutiefst, wenn wir miterleben, wie selbstverständlich er die Damen malträtiert, als wären sie sein Eigentum. Zu keiner Sekunde sind wir dabei bespasst, wenn Frauen leiden. Nie setzt währenddessen reine Unterhaltung ein.

Dieses Vergnügen, das Publikum mit explizit abgebildetem Blutvergiessen und Knochenbrechen sowie den damit verbundenen Schmerzensschreien zu belustigten, reservierte der Regisseur für die sadistischen Psychos. Denjenigen also, die all die Qualen vermeintlich verdienen, weil sie anderen Menschen so oft ähnliche Qualen angetan haben. Der Film macht uns zu Voyeur:innen, die unwillig sind zu sehen, dass diese extreme Art der Gewalt – in jedem Fall und gegen wen auch immer angewendet – niemals gerechtfertigt werden kann.

So sind wir gleichzeitig angewidert wie amüsiert, wenn Soo-hyeon wieder Schlimmeres verhindert, Kyung-chul im Close-up die Achillessehne tranchiert und ihn abermals humpelnd gehen lässt.

Dritter Gang: Menschenfleischtatar

Kyung-chul findet Zuflucht bei einem befreundeten Pärchen, das zufällig dem Kannibalismus frönt. Als er von den Ereignissen der letzten zwei Tage erzählt, macht sich der eine Homo-sapiens-Fresser gehörig über ihn lustig und fasst die Vorgehensweise des Rächers treffend zusammen: «Jagen und zappeln lassen… Jagen und zappeln lassen.»

Zur selben Zeit kriegt Soo-hyeon einen Anruf: Sein Schwiegervater und Se-yeon (Kim Yoon-seo), die Schwester seiner Verlobten, bitten ihn, seine Jagd abzubrechen. Er könne das nicht tun, erklärt Soo-hyeon und fügt hinzu, dass niemand verstehe, wie er sich fühle. Je länger seine Rache dauert, desto weiter entfernt er sich von seiner Menschlichkeit.

Nach dem Telefonat stürzt er sich aufs Neue in ins Gefecht gegen Kyung-chul und bekommt es zusätzlich mit den Kannibalen zu tun. Die Actioninszenierung von «I Saw the Devil» zeichnet sich durch enorme Wucht und schmerzhafte Gore-Aufnahmen aus. In einer imposanten Sequenz umkreist die Kamera schwebend einen Sturm aus Messerhieben und Blutfontänen, der in einem fahrenden Taxi tobt.

Zu oft inszenierte Kim Jee-woon die Kämpfe aber zu hektisch. Zahlreiche Schnitte reihen sich aneinander, sodass teilweise die Übersicht etwas flöten geht. Mit virtuosen Actionchoreografien, wie es sie in Gareth Evans’ «The Raid 2» (2014), Chad Stahelskis «John Wick: Kapitel 4» (2023) oder Jackie Chans «Police Story» (1985) zu sehen gibt, kann «I Saw the Devil» nicht mithalten. Nichtsdestotrotz verbaut der Film einige fiese «Verdammt, tut das weh!»-Momente, die nachhallen.

Soo-hyeon agiert von Konfrontation zu Konfrontation brachialer und richtet seine Gegner böse zu. Als die Polizei sein Werk sieht, verwendet ein Ermittler eine plakative Metapher, um Soo-hyeons Wandel zu beschreiben: «Wenn er gegen diese Monster kämpft, wird er selbst zu einem Monster.»

Vierter Gang: Mousse au Kollateralschaden

Wer sich bedingungslos der Rache hingibt, trennt sich vom Leben. Das demonstriert uns «I Saw the Devil». Der Tod ist Soo-hyeon unablässig auf den Fersen, während er ihm gleichzeitig stets hinterherjagt. Dabei verursacht er gewaltige Kollateralschäden.

Die Leine, die er Kyung-chul in Form des Peilsenders umgehängt hat, ist viel zu lang und alles andere als reissfest. Zwar rettet er einige Menschen, schauen wir genauer hin, ist offensichtlich, dass sich Soo-hyeon permanent verspätet. Jedes Mal, wenn er eingreift und Kyung-chul davon abhält, Schändliches anzurichten, ist bereits physischer oder seelischer Schmerz entstanden. Hätte er den Serienmörder gleich der staatlichen Justiz übergeben, anstatt seine Selbstjustiz an ihm zu vollziehen, hätten weitaus weniger Leute gelitten. Seine Vergeltung ist eine Vergeltung auf Kosten anderer.

«Sieh es ein, du hast gegen mich verloren», sagt Kyung-chul irgendwann zu Soo-hyeon. Wir können ihm nicht widersprechen.

Die Aussage, die anscheinend jeder Selbstjustiz-Thriller zu äussern gezwungen ist, dass nämlich Rache zu nur noch mehr Schmerz führt, steckt auch in «I Saw the Devil». Selten hat ein Film diese Botschaft unmissverständlicher ausgedrückt.

Bewertung:

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